24.06.2025

"Paris und Berlin müssen zusammenhalten, um ein starkes Europa zu bewahren"

Interview mit Hélène Conway-Mouret, Senatorin, Vizepräsidentin des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung und Streitkräfte, Co-Vorsitzende des Deutsch-Französischen Strategischen Kreises

Erneut treffen sich deutsche und französische Parlamentarier_innen der Linken zum Cercle Stratégique, der gemeinsam von der FES und IRIS organisiert wird. Wo steht die deutsch-französische Verteidigungskooperation heute?

Hélène Conway-Mouret: Die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland sind derzeit ausgesprochen gut. Zwischen Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Friedrich Merz besteht Übereinstimmung, ebenso wie zwischen unseren beiden Verteidigungsministern, Boris Pistorius und Sébastien Lecornu. Gleich nach seiner Wahl hat der Kanzler klar formuliert, dass das vorrangige Ziel Europas eine allmähliche Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten sein muss. Diese Aussage stimmt voll überein mit dem französischen Konzept der strategischen Autonomie, das wir seit Jahren vertreten. Mit dem Vertrag von Aachen verfügen wir zudem über ein solides Instrumentarium zur Vertiefung unserer Zusammenarbeit – nun liegt es an uns, dieses Potenzial auch wirklich auszuschöpfen. Die politischen Möglichkeiten sind jedoch begrenzt: Auf französischer Seite bleibt uns dafür ein Zeitfenster von etwa zwei Jahren. Denn es ist ungewiss, ob die nächste Präsidentin oder der nächste Präsident eine ähnlich klare europäische Agenda verfolgen wird wie Emmanuel Macron.

Wie steht es um die industrielle Zusammenarbeit?

Das ist leider der große Schwachpunkt. Auf dieser Ebene funktioniert vieles nicht so, wie wir es uns erhofft hatten – und das könnte sich als ernstes Hindernis erweisen. Politischer Wille allein reicht nicht aus, er muss sich in konkreten gemeinsamen Projekten niederschlagen – so wie es uns mit Airbus, dem A400M oder dem Eurofighter Typhoon gelungen ist. Doch jüngst hat Frankreich sich aus dem Eurodrone-Programm zurückgezogen. Sollte es auch beim FCAS oder beim MGCS zum Rückzug kommen, wäre das ein herber Rückschlag für all das, was wir derzeit gemeinsam aufzubauen versuchen. Der politische Wille auf beiden Seiten besteht, aber auf industrieller Ebene herrscht ein tiefes Misstrauen. Das hängt meiner Meinung nach auch mit den Regeln des europäischen Binnenmarktes zusammen: Sie zielen zu Recht auf Wettbewerb ab – doch leider bleibt auch die Verteidigungsindustrie davon nicht verschont.

Donald Trump und die amerikanische Regierung zeigen eine Tendenz zum Rückzug aus Europa. Was erwarten Sie von der neuen Berliner Koalition in Sachen transatlantischer Zusammenarbeit?

Ich erwarte ein erneuertes europäisches Engagement. Die transatlantische Partnerschaft bleibt zweifellos wichtig. Aber Europa muss sich auf die Möglichkeit einstellen, dass in Washington Entscheidungen künftig einseitig, distanziert oder sogar offen europafeindlich getroffen werden. Wir dürfen uns hier keinen Illusionen mehr hingeben. Die Realität ist: Europa ist für die USA keine Priorität mehr – im Gegenteil, wir werden mitunter sogar als Belastung wahrgenommen, es sei denn, wir dienen konkreten wirtschaftlichen Interessen.

Welche Rolle sollten Frankreich und Deutschland in diesem Kontext spielen?

Die einzige Möglichkeit, ein Gleichgewicht in den transatlantischen Beziehungen zu wahren, ist, als europäischer Block aufzutreten. Unsere Gesprächspartner in Washington machen keinen Hehl daraus, dass sie auf unsere Spaltung setzen. Sie pflegen bilaterale Beziehungen gezielt, um unsere kollektive Stärke zu schwächen. Wir müssen ihnen das Gegenteil beweisen, so wie wir es einst beim Brexit getan haben: Damals hat die europäische Einigkeit zu einer klaren und standhaften Verhandlungsposition geführt. Diese Entschlossenheit müssen wir heute wiederfinden. Deshalb rufe ich zu einem gemeinsamen Schulterschluss zwischen Frankreich und Deutschland auf. Wenn wir es schaffen, eine echte europäische Präferenz bei öffentlichen Investitionen durchzusetzen – was auf beiden Seiten des Rheins gewünscht wird –, können wir nicht nur unsere strategische Autonomie stärken, sondern auch Partner wie das Vereinigte Königreich oder Kanada für eine engere Kooperation gewinnen. Eine transatlantische Partnerschaft bleibt unerlässlich – aber sie kann nur auf Augenhöhe funktionieren. Dafür braucht es Klarheit über unsere Interessen und gemeinsames europäisches Handeln. Andernfalls stecken wir in einem asymmetrischen Verhältnis, das uns nicht mehr schützt.

 In einer Zeit, in der Europa seine strategische Autonomie stärken muss, spielen Haushaltsfragen eine besondere Rolle. Deutschland hat einen Sonderfonds für die Verteidigung aufgelegt, während Frankreich aus haushaltspolitischen Gründen eingeschränkter agieren muss. Sehen Sie in dieser Asymmetrie ein Risiko oder eine Chance?

Ich sehe darin eher einen überfälligen Ausgleich. Frankreich hat historisch gesehen deutlich mehr in seine Verteidigung investiert, während Deutschland – auch aus historisch nachvollziehbaren Gründen – über Jahrzehnte strukturell unterinvestiert hat. Heute holt die Bundesrepublik auf, um ihre Bundeswehr auf ein Niveau zu bringen, das dem der französischen Streitkräfte entspricht. Man darf nicht vergessen: Die französische Armee ist einsatzbereit und weltweit aktiv – in Afrika wie in internationalen Koalitionen. Diese Einsatzerfahrung verleiht ihr eine Handlungsfähigkeit, die der Bundeswehr derzeit noch fehlt. Deshalb ist dieses Aufholen entscheidend – was Ausrüstung, Ausbildung und vielleicht auch bald die Einsatzbereitschaft betrifft, auch wenn Letzteres noch nicht beschlossen ist. Ich sehe in dieser deutschen Aufrüstung eine Chance – nicht nur für die europäische Verteidigung, sondern auch für die deutsche Wirtschaft. In einer Phase, in der die Automobilindustrie schwächelt, können Investitionen in die Sicherheits- und Rüstungsindustrie einen Impuls für Reindustrialisierung und Beschäftigung geben – wie man es am beeindruckenden Aufstieg von Rheinmetall sieht. Eine starke deutsche Wirtschaft ist auch eine gute Nachricht für Europa insgesamt.

Dieser deutsche Aufholprozess erfolgt in einem ganz anderen institutionellen Rahmen als in Frankreich. Während der französische Präsident weitreichende Kompetenzen in der Verteidigungspolitik hat, liegt in Deutschland die Verantwortung beim Bundestag. Als sozialistische Parlamentarierin – wie beurteilen Sie Ihre Handlungsspielräume in der französischen Verteidigungspolitik?

Wie so oft gibt es Licht und Schatten. In Frankreich erlaubt die starke Stellung des Präsidenten in Verteidigungsfragen ein Maß an Reaktionsfähigkeit, das in anderen Systemen nicht gegeben ist. Das ist ein Vorteil – gerade im Hinblick auf unsere nukleare Abschreckung. Laut Artikel 35 der Verfassung wird das Parlament über Auslandseinsätze informiert und muss bei einer Verlängerung über vier Monate hinaus zustimmen. Doch die Verfassung äußert sich nicht über langfristige Einsätze – und auch nicht über deren Beendigung. Und genau da liegt das Problem. Ich habe dies während des Mali-Einsatzes 2013 mehrfach kritisiert: Wir haben der Entsendung zugestimmt, aber als sich die Lage verschärfte, war es äußerst schwierig, eine echte Debatte im Parlament zu führen. In Deutschland ist der parlamentarische Rahmen viel solider – und das ist essenziell. Verteidigung und Sicherheit sind Fragen der Souveränität – sie dürfen nicht allein in den Händen eines Einzelnen liegen, selbst wenn dieser der Präsident ist. Eine der zentralen Lehren aus dem Krieg in der Ukraine ist, dass die Resilienz der Bevölkerung entscheidend ist. Aber diese Resilienz kann nur entstehen, wenn die Bürger informiert, einbezogen und beteiligt sind. Verteidigung darf keine Sache eines elitären Zirkels aus Experten und Expertinnen und Militärs sein. Sie ist eine zentrale politische Aufgabe, die uns alle betrifft. Unsere Handlungsspielräume als Abgeordnete sind bislang begrenzt – wir protestieren öffentlich, stellen Anfragen, verfassen Stellungnahmen. Aber das reicht nicht. Die Demokratie darf nicht an den Türen des Verteidigungsministeriums enden. Das ist ein ernstes Defizit im französischen System – und ich finde das äußerst bedauerlich.

 

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