30.07.2025

Warum Frauen in die Kommunalpolitik gehen oder es lassen

Auch über 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ist politische Gleichstellung in Deutschland nicht erreicht. Besonders eklatant zeigt sich diese Unterrepräsentanz von Frauen auf kommunaler Ebene. Frankreich scheint dem Ziel politischer Parität näher. Dabei macht nicht nur das „Loi sur la parité“ den Unterschied, sondern viel mehr dessen Wirkung. Sie verbesset die Bedingungen für Frauen in der Politik - aber auch für alle anderen.

Welche institutionellen und soziostrukturellen Faktoren - neben der politischen Kultur – wirken auf die Entscheidung von Frauen ein, für ein politisches Amt zu kandidieren? Schon lange vor dem internen Auswahlprozess der politischen Parteien, eine Frau als Kandidatin aufzustellen oder gar dem Wahlakt selbst, entscheidet sich bereits die Mehrheit der wahlberechtigten Bürgerinnen gegen eine Kandidatur. Im Rahmen einer vergleichenden Masterarbeit zur Situation von Frauen in der französischen und deutschen Kommunalpolitik wurde vor allem der individuelle Entscheidungsprozess der Frauen in den Blick genommen. 15 Hypothesen zu Motivatoren und Hindernissen für politische Partizipation von Frauen wurden in qualitativen Expertinnen-Interviews überprüft und zeigen:

Sozialstaatliche Rahmenbedingungen machen den Unterschied

In Frankreich begünstigen soziostrukturelle Faktoren wie das Care- und das Steuersystem die Berufstätigkeit von Frauen, auch mit Kind. Französinnen sind in Folge häufiger in Vollzeit erwerbstätig und steigen nach der Geburt schneller wieder in den Beruf ein. Berufstätigkeit stärkt das Selbstbild und die sozialen Ressourcen potenzieller Kandidatinnen, was die politische Partizipation von Frauen fördert. In Deutschland hingegen hemmt die Belastung durch unbezahlte Pflege-Arbeit und mangelnde strukturelle Unterstützung noch immer Frauenkarrieren - mit negativen Folgen für die politische Partizipation: „Frauen trauen sich eine Kandidatur, insbesondere auf den vorderen Plätzen, oft nicht zu. Ich aber fühlte mich kompetent genug und ziehe vor allem aus meinen beruflichen Erfolgen Stärke!“, betont Daniela Nowak, stellvertretende Vorsitzende der Koblenzer CDU-Fraktion.

Zugleich ist die karrierestrategische Anerkennung des kommunalen Mandats in Frankreich ausgeprägter. Beispielsweise durch die Möglichkeit, kommunalpolitische Erfahrung im Rahmen der „Validation des acquis de l’expérience“ als Qualifikation evaluieren zu lassen. Die Bündelung von Verantwortung auf einige Spitzenmandate unter Entlastung „normaler“ Mandate bewirkt ein adäquateres Verhältnis zwischen Zeitaufwand, Einflussmöglichkeit und Aufwandsentschädigung. Kildine Bataille, eine stellvertretende Bürgermeisterin aus Dijon, erklärt: „Für meinen weiteren beruflichen Weg hätte ich sehr gerne meine im Amt erworbenen Kompetenzen bescheinigt. Ich meine, wir verwalten ein Budget, wir bearbeiten autonom eigene Geschäftsbereiche und tragen große Verantwortung als stellvertretende Bürgermeisterinnen.“

Deutsche Frauen müssen außerdem viel Zeit aufwenden, um als Kandidatin aufgestellt zu werden, denn Wege in die Kommunalpolitik sind oft durch langjährige parteipolitische Ehrenamtskarrieren geprägt – verbunden mit geringen Einflussmöglichkeiten für Frauen in den männerdominierten Strukturen. Nachhaltige Parteiarbeit erfordert Zeit, was insbesondere Personen mit prekären Zeitressourcen, wie Mütter, von politischem Engagement abhält.

Eine Frage der Kultur: mehr Frauen, mehr Einfluss

In Frankreich garantiert das Paritätsgesetz seit 2000 nicht nur die paritätische Vergabe von Listenplätzen, sondern stößt zugleich strukturelle Veränderungen an, indem es etwa Parteien zur Anpassung ihrer Rekrutierungspraxis an die Lebensrealität von Frauen bewegt. So werden öfter Nicht-Mitglieder aufgrund ihrer beruflichen Expertise oder ihres sozialen Status aufgestellt. Das motiviert Frauen, ob mit oder ohne Kind, die sich oftmals zunächst „nur“ für lokal die Gemeinschaft engagieren, sich schneller auch parteipolitisch zu engagieren. Der Umweg über die Räte und über die sogenannte parteiliche „Ochsentour“ als Vorleistung hingegen schreckt viele mit knappen Zeitbudgets ab. Und vor allem Frauen, die sich weniger partei- als kommunalpolitisch engagieren wollen. So unterstreicht Anne Plato, Fraktionsvorsitzende der Wählergruppe Schängel: „Ich will meine Zeit einsetzen für Sachorientierung fernab von Parteiideologie und vor Ort etwas bewegen.“

Die Untersuchung zeigt klar: Frauen engagieren sich, wenn sie reale Einflussmöglichkeiten sehen. Doch diese sind in der männerdominierten deutschen Kommunalpolitik für sie oftmals nicht erreichbar. Hier seien sie regelmäßig das „weibliche Feigenblatt“ ohne echten Einfluss, denkt Stadträtin Julia Kübler. In ihrer alten Fraktion habe man sich „gerne mit ihr geschmückt“, ihre Wortbeiträge hingegen wurden von alteingesessenen männlichen Kollegen gerne auch mal übergangen. „Ich weiß nicht, ob ich auf einer Stimmlage spreche, die von manchen Männern einfach überhört wird...“

Das Fallbeispiel der französischen Stadt Dijon zeigt, dass sich mit einem erhöhten Frauenanteil die Machtverteilung zugunsten von Frauen weiter verbessert. Dies bestätigen nicht nur die Politikerinnen selbst, sondern auch der gestiegene Frauenanteil in politischen Führungspositionen jenseits des Geltungsbereichs des Paritätsgesetzes. „Frauen nehmen mehr und mehr Führungspositionen ein, in der Politik und in der Breite der Gesellschaft und ich glaube, das hat großen Einfluss auf die Kultur, indem es zeigt, dass auch Frauen das können. So steigt die Akzeptanz für Frauen mit Einfluss“, ist die ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin Elisabeth Bio überzeugt. Auch der „pädagogische und bürgernahe“ Politikstil von Bürgermeisterin Nathalie Koenders motiviere Frauen, die „Schaudiskussionen“ und parteiideologischen Streit eher ablehnen, für eine Kandidatur.

Diese neuen und realen Einflussmöglichkeiten in Folge des Paritätsgesetzes begünstigen die Entscheidung weiterer Frauen, sich politisch zu engagieren. Ein höherer Frauenanteil fördert, das zeigen Studien, zudem ein sachorientiertes, effizientes Arbeitsklima.

Integriertes Maßnahmenbündel für Parität

Am Ende der Untersuchung stehen Handlungsempfehlungen, wie sich Barrieren auf dem Weg von Frauen in die Räte abbauen und Parität fördern lassen. Es erweist sich als empfehlenswert, kommunalpolitisches Engagement als beruflichen Qualifikationsbaustein anzuerkennen und Anreize für Unternehmen zu schaffen, politisches Engagement beispielsweise durch Freistellungen zu fördern. Die deutsche Mandatsstruktur sollte nach französischem Vorbild angepasst werden, um einen angemessenen Ausgleich zwischen Zeitaufwand, Einfluss und finanzieller Entschädigung zu schaffen. Innovative Anpassungen der Rekrutierungspraxis von Parteien ist eine weitere Empfehlung.

Eine wesentliche Erkenntnis aus der Forschung ist, dass es eine gesetzliche Quote braucht, um Parität und einen nachhaltigen Wandel eines sich ansonsten reproduzierenden Systems aufzubrechen. Sind Frauen erst einmal in einem gleichen Verhältnis repräsentiert und verfügen sie über einflussreiche Positionen, bewirkt dies eine nachhaltige Transformation des Systems, das bessere Rahmenbedingungen für alle schafft und das integrativer ist.

Auch wenn es in Frankreich noch Verbesserungspotenzial für politische Gleichstellung gibt, hat das Land mit seinem Paritätsgesetz einen Wandel angestoßen, von dem Deutschland lernen kann. Gleichstellung muss politisch gewollt und strukturell ermöglicht werden – nicht als Ideal, sondern als demokratischer Anspruch.

 

Zur Autorin

Warum engagieren sich Frauen seltener in der Kommunalpolitik? Und weshalb sind sie in Frankreich präsenter als in Deutschland? Theresa Lambrich befragte Expertinnen und Kommunalpolitikerinnen in den Städten Koblenz und Dijon für ihre Masterarbeit an der Euro-FH Hamburg. Lambrich selbst war kommunalpolitisch unter anderem als Beigeordnete und als Mitglied des Kreistags aktiv. Aktuell lebt sie in Frankreich und ist als Verwaltungsleiterin am Deutsche Forum für Kunstgeschichte Paris der Max Weber Stiftung beschäftigt. Sie hat einen Lehrauftrag an der Kommunalakademie Rheinland-Pfalz im Bereich der politischen Kommunikation und Frauenförderung inne.

 

 

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